Reimlexikon: Kaum zu glauben, aber wahr, unsere Oma Karin wird heut siebzig Jahr

ist eventuell empfehlenswert für Gelegenheitsreimerinnen und Gelegenheitsreimer

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Reime

Die antike Dichtung kam ohne Reime aus. Klopstock machte es ebenso. Auch unsere zeitgenössische Lyrik verzichtet meist auf Reime.
Bis zum Ende des vorvorigen Jahrhunderts aber galt:   Ohne Reim (Endreim) kein perfektes Gedicht.

Reime binden, ordnen und gliedern Wörter, Verse und Strophen, und zwar durchweg über ein festes Reimschema. Aber sie haben noch mehr Funktionen. Gereimtes wird schneller und nachhaltiger behalten; es wirkt gedächtnisunterstützend. Reime können durch Gleichklang und Klangwiederholungen Sinnzusammenhänge darstellen und durch Buchstabenvertauschung Sprachwitz und Sprachakrobatik kreieren
(z.B. Schüttelreime). Unbestritten ist auch, dass man Reime, vor allem Endreime, bei gekonntem Vorlesen von Gedichten zum Klingen bringen kann und dass diese Klangwerte dann Klangeffekte hervorrufen, die Emotionen zu wecken oder zu verstärken vermögen.

Allerdings: Manche gängigen Endreime sind so stereotyp und dadurch „abgedroschen“, dass sie nerven. Das sind meist die aus den Reimlexika.

Es gibt ein ganzes Arsenal unterschiedlichster Reimarten.

Die Alliteration gehört zu den ältesten. Es ist der Anlautreim, der als rhetorische Figur auch heute noch gerne gebraucht wird. Ross und Reiter  sowie Lust und Liebe sind Beispiele. Das sind Wörter, meist Substantive, mit zwei oder mehr betonten Anlauten des gleichen Buchstabens.
Auch der Stabreim besteht sozusagen aus Alliterationen. Aber hier ziehen sich diese betonten gleichen Anlaute durch den gesamten Text, werden also nicht punktuell verwendet, sondern als bindendes Element im Gedicht.

Reime können am Anfang eines Verses stehen, in der Mitte (Binnenreim) oder am Ende. Der Endreim ist am wichtigsten und häufigsten in Gedichten, definiert als Gleichklang von Wörtern ab dem letzten betonten Vokal.

Die Qualität des Reims hängt vom Grad der Übereinstimmung (Genauigkeit, Reinheit) des Reims ab. Beim reinen Reim müssen Konsonanten und Vokale zumindest ab der letzten betonten Silbe völlig übereinstimmen:  Pein – Wein – Bein – Schrein – fein – Latein – Heiligenschein
Unreine Reime sind am unvollständigen oder ungenauen Gleichklang der Vokale oder Schlusskonsonanten zu erkennen:  meide – Meute, 
Höhen  – stöhnen, bangt – Pfand
. Mundartlich bedingter Gleichklang (Sitte – Bütte) gilt zwar im Dialekt als rein, nicht aber im Hochdeutschen.
Nur um Assonanz handelt es sich, wenn allein die Vokale gleich klingen:  laufen – Pause, Gebärde – Gefährte, Minze – Linse, lange – Lampe.

Reime können einsilbig (stark, männlich, stumpf) sein: Geist, oder zweisilbig (schwach, weiblich, klingend): Geister.
Der Versschluss wird auch Kadenz genannt. Kadenzwechsel ist daher ein Wechsel zwischen betonten und unbetonten Versschlüssen.

Der erweiterte Reim umfasst mehr als eine betonte und eine unbetonte Silbe. Man spricht dann auch von reichen oder gleitenden Reimen.
Du hier und heute ewig Jammernder
mein Dasein klettenreich Umklammender

Identische Reime reimen mit immer demselben Wort.  
Der Chirurg wäscht mit Seife die Hände.
Der Dieb wäscht in Unschuld die Hände.
Das Kind versteckte schmutzige Hände.
Zum Himmel streckt Mutter die Hände.

Identreime (auch Haufenreime genannt), enthalten identische Silben, die in allen Reimwörtern verwendet werden.  „Nord-Süd-Gefälle“ >>>

Rührende (äquivoke) Reime sind zwar phonetisch (im Klang) gleich, aber in der Bedeutung und meist auch der Rechtschreibung verschieden.
Wirt – wird    Rhein – rein   Häute – heute      Beispielgedicht >>>

Als doppelte Reime werden Endreime bezeichnet, bei denen sich sowohl letzte als auch vorletzte Hebung reimen.
Wehn vom Meersehn wie er

Beim gespaltenen Reim verteilen sich die Reimsilben auf zwei oder mehr Wörter.
Im Beispiel will ich bringen,
wie Zeilen eins und vier
Vers zwei und drei nun hier
ganz inniglich umschlingen,

Waisen sind Verse ohne Reim in einem Gedicht mit unterbrochenen Reimen.
Manches gleicht sich sehr.
Beim Laufenlernen und im Alter        
Waise
fällt das Gehen schwer.


Nimmt man die Aufeinanderfolge der Reime als Kriterium, dann kann man unterscheiden:

Anfangsreime, z.B. des ersten Wortes zweier aufeinander folgender Verse.
Raps – so ist das Losungswort.
Schnaps im Tank – so fährt man fort.    

Binnenreime entstehen, wenn sich Silben oder Wörter in der Verszeile reimen.

Schlagreime ergeben sich, wenn sich zwei im Vers unmittelbar aufeinander folgende Wörter reimen:
Am
Abend sich labend an Bier oder Wein.  Beispielgedicht >>>

Der Echoreim ist eine Variante des Schlagreims, sozusagen der Schlagreim mit Ruf und Echo: Wer bietet Leckeres für Hündchen Waldi? Aldi.
Durchgehend Echoreime findet man im Echo(reim)gedicht  (Beispiel >>>).

Auch bei den Endreimen gibt es Varianten der Aufeinanderfolge.
Beim Paarreim folgen zwei Verse mit gleichem Reim aufeinander. Schema: aabb.
Beim Kreuzreim werden zwei Reimpaare gekreuzt angeordnet. Schema: abab.
Bei umschließenden, umarmenden Reimen umfasst das erste Verspaar das zweite. Schema: abba. Synonym: Blockreim
Bei geschweiften Reimen wird ein Zwischenreim eingefügt. Schema: z.B. aabccb.

Der Kehrreim ist ein Vers, der ganz oder teilweise wiederholt wird. Er tritt meist als Endkehrreim auf.
Rechts im Beispielgedicht „Blaue Horizonte“ sind die Verse 4, 7 und 8 Kehrreime >>>.

Es gibt noch etliche sehr seltene Sonderformen, die hier nicht thematisiert werden. Eine Sonderform aber, die recht häufig bemüht wird,
der Schüttelreim nämlich, den möchte ich Ihnen noch vorstellen. Die Reimsilben verteilen sich auf zumeist zwei Wörter, indem die Anfangskonsonanten der reimenden Silbenpaare wechselseitig vertauscht werden:
Zwei Angler ham erst mit der Rute geangelt
und dann intensiv um die Ute gerangelt.
Der eine hatt' Glück, und er sagt voller Dank:
„Erst Fisch und dann Ute – ein echt doller Fang!“

Der Schüttelreim an sich ist zwar ganz witzig, aber voll zur Geltung kommt seine Ausstrahlung erst in unverkrampften Schüttelreimgedichten.
Etwas Besonderes ist der Schüttelreim-Sonettenkranz, wovon es bislang nur einen einzigen gibt. Siehe dazu auch die PDF-Datei.

Zum Schluss noch zwei Fachbegriffe, die sowohl mit Verstakt als auch Reimen zu tun haben:

Jeder Vers umfasst in der Regel eine Sinneinheit (Satz, syntaktische Einheit). Aber nicht immer reichen die vorgegebenen Verstakte, um die Sinneinheit am Versende zu beenden. Dann hilft das Hinüberschreiten (französchisch Enjambement) zum nächsten Vers. Diese Versbrechung, auch Zeilensprung genannt, hat also zur Folge, dass die syntaktische Einheit erst in der nächsten Zeile fortgesetzt werden kann. (Beispiel: siehe oben rechts „Nord-Süd-Gefälle Identreim-Sonett“.

Wird der Zeilensprung im Gedicht zum Prinzip gemacht, spricht man vom Hakenstil


Beispiele: Gedichte von Renate Golpon

Durstiger Draufgänger  Stabreimgedicht
Ottokar ortet in Odeby/Ostsee
Mädchen, 'ne Menge, meist mollig, nach Maß,
sieht dann im Sande in senfgelber Seide
Britta, die Blonde, die Bodo besaß.
Ottokar ordert in Odeby/Ostsee,
barfuß und barhäuptig, baldigst zwei Bier,
schlendert, nicht schüchtern, schon schmunzelnd zur  Schönen,
hält ihr das Helle hin. „Hei, Holde, hier!“
Britta, die Blonde, die Bodo besaß,
blinzelt da, barbusig, braun Bein und Bauch,
leckt sich die Lippen, lacht lustig und laut,
guckt auf den Gönner – und greift nach dem Glas.

Nord-Süd-Gefälle  Identreim-Sonett
Ein nettes Ehepaar ist schon seit Jahren
im Sommer stets nach Dänemark gefahren.
An Kosten konnten da sie nicht viel sparen,
darüber war'n sich Frau und Mann im Klaren.
Doch haperte es nicht so sehr am Baren!
Da gab es Defizite, als da waren:
Kein mildes Klima wie auf den Kanaren,
die bieten Sonnenschein – nicht Isobaren        Enjambement
der kalten Winde, hoch aus nordisch Maaren.
Weshalb treibt 's Deutsche denn in hellen Scharen     Enjambement
gen Süden? Jochen, Jana, Kai und Karen
woll'n warmen Urlaub, einen wunderbaren!
Lars liebt den Ballermann der Balearen,
Lolita laue Luft auf Haut und Haaren.

Wirtschaftsweiser  Rührend-Reim-Gedicht
Erst verkaufte er Pelze und Häute.
Doch bergab ging 's. Und was macht er heute?
Es ist immer die Weste noch rein.
Er lebt gut in dem Städtchen am Rhein.
Wer im Handel mit Waren nichts wird,
der versucht es dann eben als Wirt!

Feierabend  Schlagreimgedicht
Am Abend sich labend an Bier oder Wein,
das kann, das weiß Mann, dann erholsam wohl sein.
Auch Frau weiß genau, was dem Mann wann Genuss,
im Trab, gar nicht schlapp, gibt sie knapp ihm 'nen Kuss.

Nochmal Feierabend  Echo(reim)gedicht
Welche Zeit mag der Mann, dann gemütlich sich labend? Abend!
Er bedenkt sich und schenkt sich genüsslich vom köstlichen Wein ein.
Da kommt prompt seine Frau und legt schlau ihren Mantel im Trab ab.
Sie ist klug, weiß genug: Wein und Bein machen meistens den Mann an.

Wenn zwei das Gleiche wollen…   Paarreime
  Es strebt der Mensch nach Anerkennung,
a   nach Ehre, Achtung, Namensnennung.
b   Doch ist das nicht ad hoc zu kriegen;
b   deshalb versucht er 's hinzubiegen.
c    er peilt den andern Menschen an,
c   ob dieser ihm wohl nützen kann.
  Doch der hat just – man ahnt es schon –
d   genau die gleiche Intention.
e   Warum denn nicht, würd ich jetzt sagen,
e   sich wechselseitig nützlich plagen?!

Anlandung  Kreuzreime
a  Nach des Sturmes Grollen rollen
a   hohe Wellen an den Strandrand.
b  In dem Boot, dem vollen, ollen,
b  sieht man Fische voller Fliegen liegen.

Gute Menschen   Umschließende Reime (Blockreim)
a  Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt.
b  So haben wir 's bei Schiller schon vernommen.
b  Und immer wieder sehen wir sie kommen.
a  Die besten Posten halten sie besetzt.

Zeitkritik  Geschweifte Reime
a
  Am Morgen werde spät ich wach,
a  am Abend wird es spät dann – ach!
b  Doch denk ich stets das eine:
Es wird mir meine Zeit genommen.
c  Wie kann ich viel mehr Zeit bekommen
b  vom Zeitgeist, den ich meine …

Blaue Horizonte    Kehrreime im Triolett
Am Horizont nur Himmel, Meer!
Sein Blau verschluckt die blanken Wellen…
Sie leisten keine Gegenwehr.
Am Horizont nur Himmel, Meer …                  wie Vers 1
Ein kleines Boot bewegt sich her.
Wir hören Möwenschreie gellen.
Am Horizont nur Himmel, Meer.                      wie Vers 1
Sein Blau verschluckt die blanken Wellen.       wie Vers 2

Silvestergewohnheiten    Schüttelreimsonett Shakespeare-Art
Es will das Jahr sich jetzt zur Ruhe legen;
das Wetter: mild und – wie hier üblich – trist.
Im Norden fällt an Stör und Luhe Regen,
was am Silvestertag betrüblich ist.
Wer immer hektisch durch die Jahre hetzt
wie unser Nachbar, Herr Max Maier-Kahl
(einst Lockenkopf, hat wenig Haare jetzt!),
der trinkt Silvester schon Tokaier mal.
Sein Sohn schlürft Cola, das sind seine Welten.
Die Mutter bringt – inzwischen warme – Bowle.
Doch Vater möchte Bier, trinkt Weine selten.
Er hickst: „Euch sehr zum – Gott erbarme! – Wohle!“
Froh strömen aus der Oper Hallen Leute,
Daheimgebliebne aber lallen heute!



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