Vers, Strophenform, Gedichtform
Vom Vers zur Strophenform
und von der Strophenform zur Gedichtform
Schema Gedichtform: Dreizeiler in drei Strophen

Strophe und Strophenform

Ohne Strophe kein Gedicht?

Verse sind Zeilen des Gedichts. Kein Vers steht allein. Sie werden zur Strophe gruppiert, sofern es sich um „richtige“ Gedichte handelt, präziser formuliert, um Gedichte in gebundener Sprache.
Neuere Gedichte ohne Reim und Metrum, auch moderne Lyrik oder freie Rhythmen genannt, kommen meist ohne Gruppierung aus. Etwaige Gliederungseinschnitte werden als Versgruppen bezeichnet.

Die lyrische Form „Strophe“ ist recht vielgestaltig. Mit anderen Worten, es gibt viele Strophenformen, rund zwei Dutzend sogar mit eigenem Namen, also nicht nur benannt nach der Anzahl der Verse je Strophe. Kriterien für die Zuordnung sind Metrum, Reim und Kadenz. Terzine, Ritornell und Vilanelle, sie alle sind Dreizeiler, unterscheiden sich aber in den genannten versschmückenden Beigaben.
Die Strophenform ist Grundlage der Gedichtform. Zur Gedichtform gehören aber darüber hinaus noch weitere spezifische Eigenheiten, u.a. auch die Anzahl der Strophen im Gedicht.

Die meisten Strophenformen haben allerdings keinen eigenen Namen. Denn nur selten machen sich Leute, die Gedichte verfassen, über die beste Strophenform Gedanken. Welche Art Metrum, Reim und Kadenz gewählt wird, ergibt sich während der „Arbeit". So kann eine zwar namenlose, dafür aber eigene Strophenform resultieren, vielleicht sogar eine, die noch nie jemand verwendet hat.

Die Übersicht erläutert, wodurch sich Strophenformen mit eigenem Namen voneinander unterscheiden.

Einzeiler
Ein einzelner Vers, z.B. als Spruch oder Wunsch, kann nach der Definition keine Strophe sein.

Zweizeiler
Ghasel (orientalisch): Metrum beliebig, a-a b-a c-a d-a f-a g-a …, Kadenz (Versschluss) beliebig m oder w.
Das Distichon besteht auch aus zwei Zeilen, ist aber eine Besonderheit, eine heterometrische (distichische) Strophe, weil sie sich aus Hexameter und Pentameter zusammensetzt, nämlich aus Versen in unterschiedlichen Metren.

Wenn – wie üblich – alle Verse dasselbe Metrum aufweisen, spricht man von isometrischer oder monostichiger Strophe. Sämtliche Zweizeiler – vom Distichon abgesehen – zählen zu dieser Gruppe.

Isometrisch sind auch alle nachfolgend Strophenformen, immer charakterisiert in der Reihenfolge Metrum, Reimschema, Kadenz. Meine Strophenform-Beispiele (in Kürze am linken Rand) sollen die Zusammenhänge veranschaulichen und dadurch verständlicher machen.

Dreizeiler
Terzine: Endecasillabo (gereimter 5-hebiger Jambus mit weiblicher Kadenz), a-b-a b-c-b c-d-c …, w(eiblich)
Ritornell: Endecasillabo, a-x-a, w
Villanelle: 5-hebiger Jambus, kompliziert (siehe Beispielgedicht)

Vierzeiler
Odenstrophen: von altgriechischen Mustern adaptiert, Klopstock, Hölderlin; reimlos
Volksliedstrophe: 3-hebiger Jambus, a-b-a-b  oder  x-a-x-a,  w/m/w/m
Chevy-Chase-Strophe (Balladenstrophe): Wechsel 4- und 3-hebiger Jamben, a-b-a-b, m(ännlich)
Suleika-Strophe: 4-hebiger Trochäus, a-b-a-b, w/m/w/m
Schenken-Strophe: 4-hebiger Trochäus, a-b-a-b, w
Vagantenstrophe: Wechsel 4- und 3-hebiger Trochäus, a-b-a-b, w/m/w/m
Pantunstrophe: beliebig, 3- oder 4-hebig, a-b-a-b, 4 Strophen, jeder Vers wird in bestimmter Reihenfolge einmal wiederholt: 1234 2546 5768 7381, Kadenz beliebig

Fünfzeiler
Lindenschmidt-Strophe: 4-, 4-, 3-, 4-, 3-hebige Jamben, a-a-b-a-b, m/m/w/m/w
Morolf-Strophe: 4-hebiger Jambus,  a-a-b-x-b,  m
Limerick-Strophe: 3-, 3-, 2-, 2-, 3-hebige Anapäste,  a-a-b-b-a,  beliebig

Sechszeiler
Schweifreimstrophe: beliebig,  a-a-b-c-c-b,  beliebig
Stabat-Mater-Strophe: 4-hebiger Trochäus,  a-a-b-c-c-b, w/w/m/w/m
Sestinenstrophe: meist 5-hebige Jamben, komplizierte Reimfolge

Siebenzeiler
Lutherstrophe: Jambus 4., 3-, 4-, 3-, 4-, 4-, 3-hebig,  a-b-a-b-c-c-b/x,  m/w/m/w/m/m/w

Achtzeiler
Doppelte Volksliedstrophe (Hildebrandston): 3-hebiger Jambus,  a-b-a-b-c-d-c-d,  im Wechsel w/m …
Siziliane:   beliebig,  a-b-a-b-a-b-a-b,  beliebig
Stanze: Endecasillabo oder Alexandriner,  a-b-a-b-a-b-c-c,  beliebig
Triolett: 4-hebige Jamben oder Trochäen,  a-b-a-a-a-b-a-b,  beliebig, auch regelmäßiger Kadenzwechsel

Neunzeiler
Nonarime: wie Stanze, aber zusätzlich 9.Zeile mit b-Reim
Spenserstrophe: wie Stanze, aber Sechstakter als neunte Zeile, a-b-a-b-b-c-b-c-c

Zehnzeiler
Dezime: 4-hebiger Trochäus, a-b-b-a-a  c-c-d-d-c, als Espinela a-b-b-a a-c  c-d-d-c, w

Kanzonenstrophe: beliebig, Aufgesang aus 2 Stollen (mindestens je 2 Verse), Abgesang (mindestens 1 Stollen lang)

Strophenformen,
veranschaulicht mit Beispielen von Renate Golpon
Die Links in dieser Spalte führen auf die Gedichtformen.

Distichon aus Hexameter und Pentameter Zweizeiler
Trällernd und wohltönend singt früh am Morgen im Felde die Lerche.
Krächzend und misstönig schrill stört dann der Elster Geschrei.

Ghasel  Zweizeiler
Ich will Ghasele dieser Website geben.
Vielleicht verleihn sie orientalisch' Leben.

Terzine  Dreizeiler
Ich will nicht göttliche Komödien dichten
wie einstmals Dante, doch ich mag Terzinen,
will gerne mich nach altem Schema richten.

Ritornell  Dreizeiler
Rote Nelken –
so bedeutungsvoll jüngst auf dem Podium –
müssen nun in der Vase sie welken.

Villanelle  Dreizeiler
Die Muse flüstert: „Villanelle dichten!
Du fühlst dich leicht und trittst nicht auf der Stelle!“
Doch penetrant sein möchte ich mitnichten.

Pantun  Vierzeiler
Ganz tief im Innern hör ich Töne …
Nicht jene, wie Musik sie meint!
Ich höre tiefe, helle, schöne …
Ich mag sie frei, nicht angeleint.

Limerick  Fünfzeiler
Die Silvia feiert Silvester
alljährlich im Haus ihrer Schwester.
Im letzten Jahr war
ihr Mann in der Schar –
als Stimmungskanonenverpester.

Sestine  Sechszeiler
„Die Sparsamkeit ist immer eine Zier“!
So lehrte uns ein altes Sprichwort schon.
Doch „Geiz ist geil“ – so heißt es heute hier.
Wir loggen uns ins Internet und schaun,
was www... zu Markt und Preisen sagt;
denn kaufen kann man auch im Laden dann!

Triolett  Achtzeiler
Mein Himmel hat sich zugezogen.
Die Wolken wiegen zentnerschwer.
Ich fühle mich ums Licht betrogen.
Mein Himmel hat sich zugezogen.
Verschwunden ist der Regenbogen.
Ich sehe keine Sonne mehr.
Mein Himmel hat sich zugezogen.
Die Wolken wiegen zentnerschwer.

Weitere Beispiele folgen

Siehe auch: Lyrische Formen in
Meer und Meergedichte


 

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